Baltikum - Drei Länder in allen Farben

Reiseroute: Tallinn (Reval) - Lahemaa Nationalpark - Vihula - Rakvere - Kuremäe - Tartu - Cesis - Smiltene - Sigulda/ Ragana - Riga - Bauska - Rundale - Ventspils - Kuldiga - Liepaja - Klaipeda - Juodkrante - Nida - Rusne - Pagegeai - Kaunas - Trakai - Vilnius (Wilna)



Hallide Tallinn

Noch mitten in der Nacht klingelte der Wecker und bereits um 5:00 Uhr sind wir auf dem Dresdner Flughafen. Über Frankfurt führt uns unsere Reise nach Tallinn, die nördlichste Hauptstadt des Baltikum.

Wie schon bei unserer Abreise, so herrscht auch hier, ca. 1.200 Kilometer nordöstlich von Dresden die Farbe Grau vor. Graue Wolken beherrschen den Himmel und lassen die Stadt mit ihren teils recht nüchternen Kalksteinbauten ein wenig trist wirken.

Nach einer kurzen Verschnaufpause machen wir uns auf den Weg in die Tallinner Altstadt. Durch den Toom-Park geht es hinauf auf den Domberg, den Toompea mit seinem gleichnamigen Schloss. Von hier hat man einen tollen Blick über die Stadt in Richtung Ostsee, genauer gesagt, in Richtung des finnischen Meerbusen, an dessen Küste Tallinn sich befindet. Finnisch? werden sich jetzt einige fragen: ja genau, denn Tallinn trennen nur 80 km Ostsee von der finnischen Hauptstadt Helsinki - quasi ein Katzensprung. Deshalb ist auch die Sprache in Estland sehr dem finnischen angelehnt. So viele Vokale wie hier die Wörter haben, haben bei uns manche Sätze nicht.

Da sich die Stadt noch immer in vornehmes Grau hüllt, ist der Blick vom Domberg nur schön, nicht spektakulär, aber für den Anfang... Wir hoffen doch in den nächsten zwei Wochen noch mehr Farben des Baltikum kennenzulernen.


Blick vom Domberg bei schönem Wetter ;-)

Vom Toompea schwenken wir hinunter in die Unterstadt, mit ihren mittelalterlichen Gassen und dem schönen Rathausplatz, auf dem gerade ein Markt mit regionalen Spezialitäten stattfindet. Die Stadt ist voll von Touristen, die wohl hauptsächlich mit dem Kreuzfahrtschiff gekommen sind, was man vor der Küste liegen sehen kann.

Wir lassen es für heute ruhig ausklingen, bei einem Birnen-Cider und einem super leckeren Essen im Urban-Restauran.



Himmelblau und Rosarot

Die blaue Stunde beginnt bereits um 2:30 Uhr, um 4:00 Uhr geht die Sonne auf und beginnt uns aus dem Bett zu kitzeln. Ganz im Gegensatz zu gestern ist der Himmel wolkenlos und strahlend blau.

Nach dem Frühstück holt Tiina uns im Hotel ab. Sie wird uns heute die Stadt zeigen, uns Sagen und Geschichten erzählen, die Stadtgeschichte näherbringen und mit uns 3 Stunden über das Altstadtpflaster der schönen estischen Hauptstadt flanieren.
Unser Weg führt uns erneut hinauf auf den Toompea, vorbei am "langen Hermann" zum rosafarbenen Schloss Toompea, dem heutigen Parlamentssitz. In der prächtigen russischen Alexander-Newski-Kathedrale findet gerade der morgendliche Gottesdienst statt - die Stadt beginnt zu erwachen.

Nach einem ausgiebigen Bummel durch Toompea schlendern wir in die Unterstadt. Kreuz und guer geht es durch die kleinen mittelalterlichen Gassen. Pastellfarbene Kaufmanns- und Handelshäuser reihen sich aneinander und beherbergen heute die verschiedensten Museen. Am Viru-Tor, einem der Hauptzugänge der Altstadt, verlassen wir den historischen Stadtkern.
Von hier sind es nur wenige Schritte bis ins Rotermann Kvartal.
In diesem ehemaligen Industrieviertel wurden Speicher und Fabriken umgebaut, modern erweitert und in Boutiquen und Restaurants umgewandelt. Es entstand ein Viertel welches hipp und modern wirkt und dennoch einen gewissen Backsteincharme versprüht. Ein absolutes Muss wie ich finde!

Nach einem kleinen Abstecher zum Hafen verabschieden wir Tiina und machen uns auf den Weg zum Kadriorg-Park. Nach so viel Stadt tut es gut ein wenig im Grünen zu bummeln. KUMU lockt uns mit seiner interessanten Architektur. Wie ein scharfkantiger Keil ragt das estnische Kunstmuseum in den Park hinein. Gegenüber stehen die Wachen vor dem rosafarbenen Präsidentenpalast. Die Regierung in Tallinn ist wohl pretty pink.

Die Tallinner Straßenbahn ruckelt uns zurück zum Hafen. Neben dem Üblichen was man da so sehen kann, finden wir ein scheinbar vergessenes Relikt, die Linnahall. Diese ehemalige Stadthalle bietet einen traumhaften Blick auf die Ostsee und die Stadt zugleich. Leider flanieren hier kaum noch Leute über die prächtigen Treppen, stattdessen sprießt mehr und mehr zartes Grün zwischen den Betonplatten hervor. Aus Kultur wird Natur.

Vorbei an den eigenartig halbrunden, in die Stadtmauer eingelassenen Türmen Nunna, Sauna und Kuldjala schlendern wir zurück in die Altstadt.

Da sich unsere Nasen, dank noch immer strahlend blauem Himmel und Sonne satt, langsam ebenfalls mit pretty pink schmücken, beschließen wir mit typisch estnischen Essen im Bauch, den Rückweg anzutreten.



Eine Mischung aus Cyan und Gelb

Heute verlassen wir das schöne Tallinn. Unser babyblauer Golf BlueMotion fährt automatisch und nach einer kleinen Eingewöhnungsphase finden wir ruckzuck den Weg aus der Stadt.

Durch Pirita geht es vorbei am Sankt-Brigitten-Kloster weiter nach Osten. Eigentlich wollen wir ohne Navi fahren, aber so einfach wie ich mir das vorgestellt habe, ist das gar nicht. Nach einer kleinen Runde durch das üppige Grün diverser Naturschutzgebiete sehe ich es ein - zuerst muss eine Karte her. Doch Tankstellen und Raststätten scheinen kein Kartenmaterial zu verkaufen. So lassen wir uns doch von unserem geschwätzigen Navi über die Autobahn führen. Nach einer kleinen Verwirrung ob diese denn vielleicht noch im Bau ist, weil hier keine Autos fahren und der Verwunderung, dass man auf estnischen Autobahnen auch einfach quer über den englisch getrimmten grünen Mittelstreifen die Fahrtrichtung wechseln kann, finden wir zwar den Wasserfall bei Jägala nicht, dafür aber nach einer weiteren Ehrenrunde abseits der A1, den Gutshof Palmse. In einem wunderschön restaurierten Stall gibt es estnische Kost - Hering mit Kartoffeln und Sauerrahm dazu Kama, ein Getränk aus Getreide und Kefir.

So gestärkt fahren wir in den Laheema Nationalpark. Das verspricht noch viel mehr Grün als wir bisher hatten. Unser erstes Ziel in diesem schönen Landschaftsschutzgebiet ist die Halbinsel Käsmu mit ihrem gleichnamigen 130 Seelen zählenden Ort. Kleine weiße Holzhäuser reihen sich in großzügigen Gärten aneinander. Auf der einen Seite begrenzt der Wald, auf der anderen die Ostsee dieses idyllisch gelegene Örtchen. Hier ist es einfach nur schön. Auf einem kleinen Waldweg kommt man an die Spitze der Halbinsel, zum Saartneem, dem Inselkap. Große und kleine Findlinge reihen sich im Wasser aneinander und bilden eine Art Sandbank. Leider dürfen wir sie nicht betreten, da aktuell Vögel dabei sind zu brüten oder ihre bereits geschlüpften Küken aufzuziehen. Kaum haben wir das Schild gelesen, schon hopst ganz unscheinbar und komplett getarnt ein Möwenbaby über den gelbgrauen Sand.

Wir lassen die Möwen brüten und kehren der Küste wieder den Rücken zu. Der Weg führt auf einem anfänglich nur wenig ausgetretenen Pfad durch den Nadelwald. Das Sonnenlicht fällt schräg auf die unzähligen kleinen Blaubeersträucher und lässt den Wald in allen nur erdenklichen Grüntönen leuchten - das dunkle Grün der Tannen, gelbgrünes Moos, hellgrüne frische Blaubeerblätter, silbrig grüne Flechten. Zusammen mit dem typischen Duft des Waldes einfach soooo schön. Auf dem letzten Stück Weg machen wir noch einen kurzen Stopp in Sagadi, einem weiteren Gutshof, der früher als Sommerresidenz der Deutsch-Balten diente, bevor wir in unseren "eigenen" Gutshof, nach Vihula fahren. Diese wunderschöne weiläufige Anlage wurde in ein Hotel umgebaut und wir dürfen uns hier zwei Tage verwöhnen lassen.

Inzwischen beginnen die bisher noch weißen Wolken langsam die Farbe zu wechseln. Aus Grau wird bald ein dunkles und bedrohliches Blaugrau und beim Abendessen fallen die ersten Tropfen.



Bunte Tupfen

Nach einer ausnahmsweise stockfinsteren Nacht hinter Verdunklungsrollos, haben wir in dieser "weißen Nacht" ein wenig mehr Schlaf bekommen.

Die Wetterapp verspricht Sonne und Wolken mit "lebhaftem" Wind bei 9 Grad - na wenn das nix ist. Also mummeln wir uns in die Fliesjacke und fahren nach Altja und Vergi, zwei kleine Dörfer an der Küste der Halbinsel Vergi. Klein dürfen wir sie eigentlich gar nicht nennen, denn Vergi ist mit mehr als 100 Einwohner doch schon ein stattlicher Ort wie wir inzwischen wissen. Altja dagegen trumpft mit gerademal 30 Seelen auf. Estland hat nur 1,2 Mio Einwohner, davon lebt 1/3 in Tallinn. Da bleiben für den Rest des Landes gerade mal 15 Einwohner pro km² übrig. Es gibt hier also viel Wald, im Norden wenige Felder, dafür umso mehr Wiesen und ab und zu ein vergleichweise farbenfrohes Holzhaus. Neben jeder Menge Grün also nur kleine gelbe, weiße und violette Tupfen in der Wiese und pastellfarbene finnisch anmutende Holzhäuser auf den vom Rasenroboter liebevoll kurz gehaltenen - englischen Vorgärten gleichenden - Rasengrundstücken. Blumen, Sträucher oder gar Bäume gibt es überwiegend außerhalb der Grundstücke. Sie würden den Robi nur unnütz durcheinander bringen.

Aber nun zu Vergi. Der internationale Yachthafen von Vergi über den man hier lesen kann, beherbergt ganze 3 Boote. Der kleine weiße Leuchtturm weist ihnen den Weg. Uns weht der Wind eine Runde durchs Dorf, vorbei an vorhin erwähnten beispielhaften Häusern nebst Rasenflächen. Der Wetterdienst von Estland erhält 10 Punkte.

Bei strahlendem Sonnenschein mit flott dahinziehenden weißen Schäfchenwolken fahren wir nach Toolse.
Die Ruine der alten Deutschordensburg von Toolse - der Tolsburg - steht direkt am Meer. Ein unscheinbarer Weg führt zu ihren Überresten. Keine Menschenseele ist zu sehen. Nur uns pfeift der Wind um die stark ausgefransten Burgmauern. An vielen Stellen wird die Burg bereits von dicken Drahtseiten gehalten oder von Stahlträgern gestützt. Auch vom einstigen Hafen zeugen nur noch die alten Fischernetze und die zwei morschen Holzboote die im Schilf liegen.

Der Magen knurrt. Wir wollen unser Glück im nahen Kunda versuchen, doch diese kleine Industriestadt hält nicht viel bereit. Ein Supermarkt im runtergerockten Wohnviertel hilft uns zumindest mit Brot und Hackbällchen. So wird es heute ein Parkplatz-Picknick, während der Wind uns die Regentropfen ums Auto jagt.

Weiter geht es nach Rakvere. Dort soll noch ein wenig mehr einer alten Ordensburg stehen. Burg Wesenberg, wie sie noch heute heißt, gehörte ebenfalls dem Deutschen Orden an. Heute werden die Ruinen so gut es geht erhalten und es wurde eine Art mittelalterliches Freilichtmuseum errichtet.

Der Rest von Rakvere inklusive dem viel gelobten Rathausplatz sind weniger hübsch anzuschauen und so belassen wir es dabei und kehren nach einem kleinen Abendschmaus nach Vihula zurück.



Purpurne

Wir verlassen den Laheema Nationalpark und kehren damit auch der Ostseeküste den Rücken. Unser Weg führt uns nach Kuremäe, knapp 20 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. In dem 270 Seelen-Örtchen, gibt es das russisch-orthodoxe Nonnenkloster Pühtitsa zu bestaunen in dem heute noch circa 100 Nonnen leben. Leider spielt das Wetter nicht so mit und so fällt der Besuch recht kurz aus. Doch ich muss sagen, vor allem das Eingangsgebäude mit seinen Natursteinmauern, in rote Klinker eingefasst, und seinem moosgrünen Dach hat es mir angetan. Die Hauptkirche mit ihren fünf Kuppeln ist eher klotzig angelegt, allein die Zwiebeltürmchen haben ein wenig Charme.

Von Kuremäe ist es nicht mehr weit bis zum Peipsi-See, dem fünftgrößten See Europas. Er teilt sich in einen estnischen und einen russischen Teil. Wir fahren am Ufer entlang nach Süden und kommen vorbei an den 7 Dörfern der Altgläubigen. Sie bilden glaubenstechnisch also gerade das Gegenteil von Kuremäe, denn sie trennten sich von der russisch-orthodoxen Kirche. Insgesamt gibt es 11 Gemeinden dieser Altgläubigen mit ca. 15.000 Mitgliedern, die weiter an ihrer Lebensweise festhalten. Sie sind bekannte Zwiebelbauern und das kann man in jedem Garten sehen - Zwiebeln über Zwiebeln. Auch im einzigen Restaurant in Kolkja kann man neben Zwiebelsalat und Zwiebelsuppe allerlei andere zwiebellastige Gerichte probieren. Ihrem Glauben nach schützen Zwiebeln vor Krankheiten, wenn man sie immer isst. Ich glaube eher man steckt sich einfach aufgrund fehlender sozialer Kontakte wegen übermässigem Zwiebelgenuss nicht so schnell bei anderen an.

Wir machen einen kleinen Abstecher zum Schloss von Alatskivi, bevor wir unser heutiges Endziel Tartu ansteuern. Mit seinen knapp 100.000 Einwohnern ist Tartu die zweitgrößte Stadt Estlands und die Universitäts- und Studentenstadt schlechthin. Bei einem kleinen Stadtrundgang kommen wir neben der Universität an zahlreichen Stadtvätern, -großvätern, -urgroßvätern und sonstigen statuewürdigen in Stein gehauenen Persönlichkeiten der Stadt vorbei. Viele "echte" Sehenswürdigkeiten gibt es nicht, einzig vielleicht die Ruine des einstigen Doms, dem der Toomemägi - der Domberg - seinen Namen verdankt und ein hübscher Rathausplatz. Hier im Zentrum von Tartu fällt auf, dass es keine finnisch anmutenden Holzhäuser mehr zu geben scheint. Doch wir hörten von einem Stadtteil, wo auch diese noch zahlreich vorhanden sein sollen.

Ihr wollt noch die Farbe des Tages erfahren? Eindeutig violett. Neben den zahlreich am Straßenrand aufgereihten, manchmal auch zu hunderten wachsenden, purpurfarbenen und violetten Lupinen (die ich bei uns nur in gut gepflegten Gärten kenne und keineswegs wild am Wegesrand), muss man zweifelsohne das Hotel erwähnen. Unsere Hoteletage - violett - und auch das Zimmer besticht mit verschiedensten - wenngleich doch etwas dezenteren - Violetttönen. Und damit verabschieden wir uns und machen schnell das Licht aus ;-).



Melnā un baltā krāsā

Endlich wieder Sonnenschein. Wir sind heute schon ganz früh unterwegs und nutzen die morgendliche Stille um vor allen Anderen das Schloss Sangaste anzuschauen. Ein wunderschönes rotes Backsteinschloss, angelegt nach dem Vorbild des Windsor Castle. Ein letztes Mal lassen wir uns die estnische Sonne ins Gesicht scheinen, bevor wir Estland den Rücken kehren. Valga wird zu Valka und wir finden uns auf holprigen lettischen Straßen wieder.

Was neben den schlechten Straßen auffällt, ist, dass es hier scheinbar schon ein paar mehr und vor allem größere Orte zu geben scheint. Nicht umsonst zählt die Bevölkerung in Lettland fast eine Millionen Menschen mehr und die Bevölkerungsdichte liegt (Riga nicht mitgerechnet) bei knapp 25 Menschen pro km². Ob das wohl an den zahlreichen Störchen liegt? Wir dachten ja eigentlich in Estland gäbe es viele dieser schwarz-weißen Froschfresser, aber das war nix gegen die Zahl an Störchen die hier über die saftig grünen Wiesen stakst oder in Horsten ihre Jungen aufzieht. Also wer an den Klapperstorch glaubt, sollte seinen nächsten Urlaub in Lettland machen. Hier gibt es so viele Störche, die haben bestimmt noch freie Kapazitäten... Unser erster Anlaufpunkt in Lettland ist Smiltene. Dieses kleine, auf drei Hügeln erbaute Städtchen, nennt einen wunderbaren Park mit mehreren Seen sein Eigen. Nach einem kleinen Bummel durch eben diesen Park, gibt es einen Mittagssnack mit hausgemachten Cider, bevor wir weiterziehen.

Cēsis wurde zwar empfohlen, doch wir streifen es nur und ziehen die Wasserburg Āraiši, oder zu deutsch Arrasch, vor. Hier wurden 1965 die Überreste einer Siedlung der Lettgallen aus dem 9./10. Jahrhundert gefunden, die inzwischen komplett rekonstruiert wurde. Neben den Ruinen einer alten Ordensburg steht auf einer Insel eine kleine Holzhaussiedlung, die zeigt wie die Lettgallen damals lebten. Langsam ziehen graue Wolken auf und es ist kaum noch ein Fleckchen Blau zu sehen. Wir beschließen nach Birini ins Schloss zu fahren. Das Schloss wird für heute Nacht unser Quartier sein. Direkt an einem kleinen See gelegen, von Park und Bäumen umsäumt... und es begrüßt uns... natürlich das Storchenpaar, welches auf einem der Schlosstürmchen nistet. Klipp-Klapp.



Farblos

Das Wetter lädt eigentlich dazu ein im Bett zu bleiben, doch diese Option haben wir heute leider nicht. Also fahren wir nach Sigulda, dem wohl bekanntesten Ort im Gauja-Nationalpark. Unser erster Halt ist die Ordensburg Segewold beziehungsweise das was von ihr übrig blieb. Die Burg gehörte früher zum Schwertbrüderorden, der später in den Deutschen Orden eingegliedert wurde. Die Schwertbrüder lebten nach den Regeln und Bräuchen der Tempelritter. Heute wird die Burgruine für zahlreiche Veranstaltungen genutzt. Ein wunderschöner Blick bietet sich ins Gaujo-Tal und hinüber zur Burg Turaida, die sich am gegenüberliegenden Berg befindet. Diese gehörte anders als Segewold zum Erzbistum Riga.

Wir sind auf dem Weg nach Turaida. Die rote Burg ist heute komplett rekonstruiert und beherbergt ein Museum, doch leider spielt das Wetter so gar nicht mit und es regnet in Strömen. Eine Weile harren wir auf dem Parkplatz aus, bevor wir beschließen ein frühes Mittagessen einzunehmen und unser Glück später zu versuchen. Leider schlägt auch dieser Versuch fehl.
Wir brechen das Vorhaben ab und fahren ein wenig früher als geplant in die lettische Hauptstadt Rīga. Unterwegs wird der Regen nur heftiger und wir haben das Gefühl "Wasserski" in den vom Regen überfluteten Spurrinnen der Rīgaer Autobahn zu fahren. Aquaplaning ist Nix gegen die lustige Schwimmerei auf regennassen lettischen Straßen.

Auch Rīga selbst ist ein wenig landunter. Wir kreisen um unser Hotel und suchen den versprochenen Hotelparkplatz. Fehlanzeige! Ich hopse raus und frage in der Hotellobby nach. Tatsächlich sagt mir der nette Angestellte, da wäre ein grünes Tor, da sollen wir hinfahren, er wartet dort. Gesagt, getan - und diese tolle vermeintliche Tiefgarage entpuppt sich als geradeso zwei Autos fassendes Hotellager. Einer war schon drin, wahrscheinlich der Hotelmanager. Wie wir hier, so eng wie das ist, jemals rückwärts wieder rauskommen, ist zwar fraglich, aber wir haben ja noch ein bisschen Zeit bis wir Rīga wieder verlassen.

Zwei Stunden später sieht es draußen schon ein wenig freundlicher aus. Man keine einzelne blaue Lücken in der Wolkendecke erkennen und wir wagen einen kleinen Altstadtspaziergang. Am Dom ist Gräsermarkt. Die Stadt bereitet sich auf die Johannisnacht, die kürzeste Nacht des Jahres vor. In 3 Tagen ist es soweit! Überall werden Blumengirlanden und Blätterkränze verkauft, mit denen zum Ligo-Fest - so nennt man das Fest der Johannisnacht - die Häuser geschmückt werden. Es gibt ganz bestimmte Speisen, zum Beispiel Ligo-Käse oder Ligo-Bier, die man natürlich alle hier auf dem Markt kaufen kann. Ein besonderes Flair was die Altstadt schon jetzt umgibt.

Wir werden uns Rīga morgen ausführlich anschauen, für heute soll es bei dem kleinen Bummel bleiben.



Farbenfrohes Rīga

Sonne - Regen - Sonne - Regen. Der Start unserer Stadtführung fällt natürlich auf Regen und so stapfen wir zuerst mit dem Schirm in Richtung Jugendstilviertel. Der Inhalt des letzte Nacht angelegten Kreuzfahrtschiffs "Legends of the Seas" ist ebenfalls zugegen. Wer nun welchem Schirm folgen soll ist bei der Anzahl aufgeklappter Regenschirme in allen Farben allerdings nicht mehr auszumachen.

Die Sonne schafft es durchzubrechen und die Schiffsladung Touristen verschwindet in ihre Busse und wird zur nächsten Attraktion gefahren. Wir genießen die neu erworbene Stille und laufen. Vorbei an Rīgas Freiheitsstatue geht es in die Altstadt. Unsere Stadtführerin Una erzählt uns ein wenig Geschichte von Rīga, plaudert über die kleinen Sticheleien zwischen Esten und Letten und so wandeln wir über das Kopfsteinpflaster von Rīgas top erhaltener Altstadt. Ruckzuck ist es Mittag und wir müssen Una verabschieden und unsere eigenen Pflastersteinwege gehen. Doch als erstes stärken wir uns, bevor wir auf der anderen Seite, beziehungsweise in der Daugava die Insel Ķīpsala besuchen. Ķīpsala ist zwar nicht so bekannt wie der Stadtteil Kalnciems, aber es hat viel mehr der schönen alten Holzbauten und noch dazu einen tollen Blick auf die Altstadt zum Einen und auf den Hafen zum Anderen. Die original erhaltenen Holzbauten sind übrigens ein Grund, neben dem Jugendstilviertel und der Rīgaer Altstadt, das Rīga den UNESCO-Weltkulturerbetitel trägt.

Nach der Inselrunde geht es am Flussufer entlang - gegenüber die Türme von Vecrīga, der Altstadt. Wir queren erneut die Daugava und stehen vor den großen Markthallen. Ehemals waren es Zeppelinhallen. Das Interessante dabei ist, dass diese Zeppelinhallen nicht etwa schon immer hier in Rīga standen. Es waren ursprünglich zwei 240 Meter lange Hallen, die Anfang des 20. Jahrhundert von der Stadt gekauft wurden. Nur die oberen Teile dieser Hallen wurden aus dem 150 Kilometer entfernten Vaiņode nach Rīga verbracht. Daraus wurden fünf "Themen-Markthallen" errichtet - Fisch, Fleisch, Obst/ Gemüse, Milchprodukte und Gastronomie. Jeden Tag strömen bis zu 100.000 Menschen hierher zum Einkaufen, darunter auch die namhaften Hotels und Restaurants der Stadt. Es herrscht also stets ein buntes Treiben. Die verkauften Waren werden hier frisch und vor allem günstiger als in den Läden der Stadt angeboten, da sie direkt von den Erzeugern verkauft werden.

Hinter den Markthallen befindet sich die Speicherstadt, Spīķeri. Sie wirkt jedoch nicht wirklich sehr belebt. Die meisten Gebäude sind Ausstellungsräume oder Konzerthallen, dazwischen zwei Restaurants. Mit einer heißen Schokolade peppeln wir uns wieder auf. Die Füße schmerzen! Noch ein letzter Bummel durch die Altstadt (es war schon fast eine reine Altstadtdurchquerung) und wir fallen hungrig und müde im "fliegenden Frosch" zum Abendessen ein.



Rosig

Unser heutiger "freier" Tag war eigentlich für den Strand in Jūrmala gedacht, doch nach ausführlichen Wetterchecks von Rīga und mehr oder weniger entfernten Orten, haben wir das schon mal gestrichen. Von 20 verfügbaren, nur 5 Sonnenstunden, der Rest Regen. Kurzerhand ziehen wir einen Teil des morgigen Plans einen Tag nach vorn - zum Glück ist das machbar und vor allem sind die Ziele im Ernstfall überdacht. Aber das Wichtigste ist - dort soll es ein wenig mehr Sonne geben!

Gesagt, getan! Doch zuerst muss das Auto irgendwie rückwärts bergauf aus diesem engen Hotellager wieder raus. Mit langem Gefriemel, man will ja nicht links oder rechts die Spiegel einbüßen, haben wir es dann geschafft und sind nun auf dem Weg nach Süden, nach Bauska.

Gerade angekommen, reißt der Himmel auf und wir haben Sonne pur für unsere Burgbesteigung. Die livländische Ordensburg ist wunderschön gelegen am Zusammelfluss von Mūsa und Mēmele. Die Burg ist leider ruiniert! Jedoch das später angebaute Schloss ist noch recht gut erhalten, wenn auch momentan in Renovierung befindlich. Aber vom Burgturm hat man einen tollen Blick über das Lielupe-Tal. Die Lielupe ist übrigens der Fluss, der aus der Vereinigung von Mūsa und Mēmele entsteht.

Durch den kleinen Park geht es ins Zentrum von Bauska. Doch viel mehr als ein verschlafener Rathausplatz mit Touristeninfo und Taverne gibt es hier nicht zu sehen. Da sich der Himmel gerade wieder mit dicken schwarzen Wolken zuzieht, ziehen wir uns in unser Auto zurück und nach einem kurzen Zwischenstopp im Supermarkt für ein späteres Picknick fahren wir weiter.

Rundāle ist unser nächstes Ziel. Unweit von Bauska ist dieses als bedeutendste historische Anlage im Baltikum geltende Schlossensemble gelegen. 72 Hektar groß, mit Barockschloss und riesigem französischem Garten aus der Zeit um 1740. Der Garten ist einfach wahnsinnig groß und manchmal kommt man sich fast ein wenig verloren vor zwischen breiten grauen Sandwegen und grünen Hecken.

Näher am Schloss kann man dann alle Rosenarten dieser Welt bewundern und es riecht süß nach Rosenduft. Das Schloss selbst ist auch in seinem Interieur nahezu vollständig erhalten und zieht deshalb Massen an Besuchern an, die in blauen Überzieherchen über den Schuhen durch die barocken Gänge wandeln.

Nachdem sich erneut bedrohliche Regenwolken nähern, treten wir auch hier langsam den Rückzug an. Die Wolken können gerade noch an sich halten bis wir im Auto sind, schon regnet es wieder in Strömen. Für uns geht es zurück nach Rīga, um uns bei einem letzten Abendessen von der Stadt zu verabschieden.



Sommersonnenwende?

Bye bye Rīga. Es geht an die lettische Ostseeküste nach Ventspils. Eigentlich steht das nicht auf dem Plan, aber wir hatten ja gestern einige Änderungen vorgenommen.

Zweieinhalb Stunden Fahrt über schnurgerade Straßen liegen vor uns. Das fällt immer sehr langatmig und langweilig aus. Ihr müsst wissen: außer Wiese und Wald gibt es hier nix zu sehen. Keine Hügel oder gar Berge, keine Orte durch die man fährt, es sei denn man wählt eine Schotterpiste. Doch auch diese führen eher an den Orten vorbei, so es denn welche gibt. So macht das Fahren leider meist wenig Spaß. Gegen Mittag kommen wir bei tollem Wetter - wir freuen uns schon über Sonne und 13 Grad - in Ventspils an. Eine sehr interessante Hafenstadt, ganz anders als das was wir bisher so gesehen haben. Mal keine historischen Bauten, mittelalterlichen Kneipen, Burgruinen, Schlösser oder Holzhäuser.

Die gut restaurierte Altstadt ist klein und mit Parks nett angelegt, doch viel schöner ist für mich die Hafenpromenade. Das Must-see der Stadt. Man läuft an der Waterkant entlang mit direktem Blick auf den alten Hafen mit seinen alten Takraf-Hafenkränen, die bis 1980 in der DDR gefertigt wurden. Die Hafengebäude sind mindestens ebenso alt. Dazwischen Berge von Kohle, die in riesigen langen Förderbändern am anderen Hafenende in ein Schiff fallen. Der Hafen ist der wichtigste Umschlagsort für Kohle und russisches Öl an der Ostsee. Langsam wird es recht stürmisch und am Horizont brauen sich dicke schwarze Wolken zusammen, aber sie ziehen parallel zur Küste. So laufen wir soweit der Hafen reicht und noch ein Stückchen weiter, bis wir plötzlich direkt vor den Dünen stehen. Dahinter die Ostsee mit weißem feinen Sand. Kaum eine Menschenseele ist hier. Bei Wassertemperaturen von 12 Grad auch kein Wunder! Wir sitzen in einer schönen blauen Holz-Hollywoodschaukel, schwingen wie die Wellen sanft vor und zurück und genießen den Blick aufs Meer. Endlich Meer!

Als wir merken, dass der Wind gedreht hat und die dicken schwarzen Wolken geradewegs auf uns zuhalten, schütteln wir uns den Sand aus den Schuhen und trollen uns. Da wir inwzischen so ziemlich am anderen Ende der Stadt sind, steht uns ein straffer Fußmarsch von 30 Minuten bevor, eigentlich nicht viel, aber... Wir haben es dennoch nicht trockenen Fußes zum Auto geschafft. Schon auf halber Strecke holt uns die dicke Regenwolke ein.

Nach einem kurzen Picknick im Auto fahren wir weiter zu unserem Tagesziel Kuldīga. Die einstige Hauptstadt des Fürstentums Kurland wirkt leider sehr verschlafen und nahezu menschenleer. Die Hauptsehenswürdigkeit ist der mit 270 Metern breiteste "Wasserfall" Europas. In Wirklichkeit sind es mit rund 2 Meter Höhe eher Stromschnellen. Doch die Flusslandschaft ist schon beeindruckend. Von der längsten Backsteinbrücke Europas mit 164 Metern hat man einen tollen Blick ins breite, teils mit Schilf bewachsene Flussbett.
Doch ohne Licht hat der geneigte Fotograf dann auch keine Lust mehr auf der Brücke hin und her zu hopsen und so ziehen wir uns ins Hotel zurück.

Pünktlich zur besten Abendbrotzeit wollen wir das Hotelrestaurant unsicher machen und stehen plötzlich vor verschlossenen Türen. Heute ist Feiertag und da scheint hier alles spätestens 18 Uhr zu schließen. Leider hat man uns darauf nicht hingewiesen. Nun stehen wir mit knurrendem Magen in der Lobby. Die kleine Empfangsdame vom Hotel, die vorhin bei unserer Ankunft noch völlig desinteressiert am Handy spielte und uns nur einen Zettel zum Ausfüllen zuschob um uns nach Abgabe desselben wortlos den Zimmelschlüssel rüberzureichen, fängt nun ganz aufgeregt an zu telefonieren. Leider hat auch sie keinen Erfolg und mobilisiert die Küchencrew, die gerade Feierabend macht, uns wenigstens einen "Mannschafts-Burrito" zur Verfügung zu stellen. Wir dürfen im Restaurant Platz nehmen. Die Kellnerin versteht scheinbar kein Wort Englisch und macht schon bei der Frage nach einer Cola dicke Backen. Zwei Minuten später stehen zwei Teller mit schmucklosen Burritos auf dem Tisch. Das eben, was sonst wohl die Küchencrew zwischendurch ist. Na zumindest kommt dann noch die Info: "Es geht heute aufs Haus".

So viel also zur Sommersonnenwende bei strömendem Regen und 8 Grad im verschlafenen Kuldīga. Na dann Gute Nacht!



Keine Ostsee weit und breit

Wir verlassen Kuldīga ganz früh und fahren geradewegs an die Küste. Die Sonne scheint zwischen dicken schnell ziehenden Wolken hindurch. Die Strecke wurde uns als die Schönere auf dem Weg nach Liepāja empfohlen. Zu sehen gibt es leider trotzdem nicht viel - auch keine Ostsee. Die drittgrößte Stadt Lettlands war nach dem zweiten Weltkrieg 45 lange Jahre von der Außenwelt abgeschottet und diente als Stützpunkt der Roten Flotte. Sowohl für Ausländer als auch für Letten war die Stadt ohne Sondergenehmigung gesperrt. Sie befand sich größtenteils in russischer Hand.

Im Zentrum direkt sieht man davon nicht so viel, aber es stehen viele Häuser leer und verfallen. Im Hafen sieht man noch Militärschiffe, heute jedoch lettische. Der größte Teil der Militärbasis war im Stadtteil Karosta, den wir jedoch großzügig aussparen.
Wir machen einen kleinen Stadtrundgang: "Liepāja nach Noten". Nach Noten? Genau, denn Liejāpa wird als Haupstadt der lettischen Rockmusik angesehen. Der Weg führt an allen sogenannten Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbei und streift auch den schönen Ostseestrand.

Das Highlight des Rundgangs - zwei Kirchen, einer Kathedrale, mehreren tristen Straßen mit teils verfallenen Häusern und die circa 100 Meter lange Hafenpromenade. Leider ein wenig enttäuschend, doch zumindest scheint die Sonne, während uns kühle 10 Grad um die Nase wehen.

Es geht weiter entlang der Küste nach Süden. Von Ostsee wieder nichts zu sehen. Touristenfreundlich sind die Straßen hier nicht. Wir verlassen Lettland und hoffen auf Besserung im Nachbarstaat. Litauen empfängt uns zumindest mit besseren Straßen und deutlich mehr Leben. Man sieht Dörfer am Straßenrand mit mehr als fünf Häusern und manchmal kann man gar sanfte Hügel erahnen. Man merkt es deutlich, Litauen hat 1 Millionen Einwohner mehr als Lettland und das bei nahezu gleicher Größe.

Palanga hatten wir als nächstes Ziel auserkoren, doch das gestaltet sich gar nicht so einfach. Die Stadt ist voll von Menschen, Parkplätze sind rar und vor allem kosten sie Geld, was ansich kein Problem darstellt, doch wir haben nur Euro, in Litauen jedoch braucht man noch Lita. Nach einigen Runden durch die Stadt auf der Suche nach Parkplatz und Geldautomat finden wir beides. Doch mit den Lita in der Tasche ist uns ein wenig die Lust vergangen in dieser überfüllten Sommerfrische mit allen anderen Touristen, die hier Busweise angereist sind, den Weg zum Meer zu suchen. So fahren wir weiter nach Klaipėda, dem wichtigsten Seehafen Litauens und Ausgangspunkt für Besuche der Kurischen Nehrung. Die Altstadt ist klein und kaum sehenswert, das ehemalige Schloss nahezu nicht mehr vorhanden, von Ruine kann man dabei schon lange nicht mehr sprechen. Wir wandeln also nur kurz über das äußerst hoppelige Altstadtpflaster bevor wir den Fährhafen nach Smiltyne aufsuchen.

Kaum sind wir auf der Fähre ist sie auch schon unterwegs. Die nur 300 Meter zwischen Klaipėda und der Kurischen Nehrung, litauisch Neringa genannt, sind schnell zurückgelegt. Von diesem 98 Kilometer langen Landstreifen in der Ostsee gehören nur 52 Kilometer zu Litauen, der andere Teil gehört zur russischen Enklave Kaliningrad. Dort ist er auch direkt mit dem Land verbunden. Wir werden ein wenig Ostseeluft schnuppern und sie vor allem Morgen endlich auch sehen. Für heute geht es nach Juodkrante, welches auf der Seite des Kurischen Haff liegt.



Und wir standen kurz vor Kaliningrad

Heute sind wir ein bisschen faul und wackeln nur mal auf die 52 Meter hohe Parnidis-Düne und stehen somit nur wenige Hundert Meter vor Kaliningrad. Die Grenze in die russische Enklave ist bereits in Sichtweite.

Da der zahlreich vorhandene Sand bei 15 Grad Außentemperatur und 12 Grad Wassertemperatur nicht wirklich zum Baden einlädt, beschließen wir den Tag einfach mit einer Tasse Tee auf dem windstillen Balkon unserer Unterkunft zu genießen.

So denn halten wir uns heute auch mit dem Bloggen kurz und verabschieden uns schon wieder :-)



Entlang der russischen Grenze

Raus aus den Federn und runter von der Düne. Da das Hotelpersonal lieber länger schläft, reisen wir ohne Frühstück ab. Mit knurrendem Magen geht es auf die Fähre, die uns wieder zurück aufs Festland bringt. Es ist scheinbar unser Glückstag, denn es will keiner Geld von uns. So schippern wir die 300 Meter for free nach Klaipėda zurück. In einem Einkaufszentrum wird gefrühstückt und getankt und schon kann es losgehen. Erst einmal noch die letzten litauischen Kilometer nach Süden auf eine kleine Insel im Mündungsdelta der Memel. Rusnė heißt der Hauptort dieser früher zu Ostpreußen gehörenden Insel, die mehrere Besonderheiten hat. Zum Einen liegt sie direkt an der Grenze zum benachbarten Kaliningrad, zum Anderen befindet sie sich im Überschwemmungsgebiet der Memel und wird oft mehrere Male im Jahr von der Außenwelt abgeschnitten. Die Landschaft ist dementsprechend fruchtbar und wunderschön, allein schon weil sich neben den üblichen Wiesen auch Felder ins Landschaftsbild einreihen. Das bildet mal einen Kontrast zu dem, was wir bisher so gesehen haben. Es ist unglaublich ruhig und friedlich, trotz der knapp 2000 Einwohner, die hier leben. Nur Wasser sieht man wie so oft nicht viel, zumindest nicht aktuell - die Memel führt kein Hochwasser.

Wir fahren weiter entlang der russischen Grenze ins Landesinnere von Litauen. Zu sehen gibt es unterwegs, außer ein paar Ortschaften am Wegesrand, nicht viel. Hin und wieder sind die wichtigsten Fahrzeuge auf baltischen Straßen zu sehen - Straßenrandmähmaschinen. Am aktivsten waren sie in Lettland, doch auch hier wird überall sehr viel Wert darauf gelegt, dass neben der Straße mindestens drei Meter Rasen ganz sauber und kurz geschoren sind. Ich habe einen wunderbaren Ausdruck dafür im Netz gefunden - Gras auf "Ameisenkniehöhe". Dafür fahren zum einen die Mähmaschinen umher, die jedoch bei jedem Straßenbegrenzungspfosten das "Beinchen" heben müssen. Denen folgen dann die netten Herren mit ihren Elektrosensen, die die Feinheiten erledigen.

Am Nachmittag erreichen wir das 200 Kilometer entfernte Kaunas.Leider zieht gerade bei unserer Ankunft erstmal ein ordentliches Regengebiet durch, so dass wir mit dem Stadtbummel noch ein wenig warten müssen. Doch nach regenfrei kommt auch wieder sonnig und so wird heute der erste Tag, an dem wir bei 18 Grad tatsächlich ohne Jacke die Sonne genießen können. Die Altstadt von Kaunas ist hübsch auf einer Landspitze am Zusammenfluss von Memel und Neris gelegen. Sehr viele Sehenswürdigkeiten hat jedoch auch Kaunas nicht zu bieten.

Eine kleine Burg, welche jedoch nur noch aus einem Turm besteht und ein paar Kirchen. Eine Fußgängerzone mit allerhand Geschäften, Cafés und Restaurants zieht sich weit durch das Zentrum der zweitgrößten Stadt Litauens. Mit 360.000 Einwohnern ist Kaunas fürs Baltikum schon ein beachtliches Städtchen. Doch auch hier sieht man leider einige große Bauruinen. Die tauchen hier unweit von Russland häufiger auf, als in den nördlicheren Regionen.

Mit einem leckeren Abendessen in der Fußgängerzone runden wir den Tag ab und hoffen auf ebenso gutes Wetter für morgen.



Die letzten Kilometer

Grau ist es am Morgen, doch das passt zu unserem nächsten Ziel - Fort IX. Diese Festungsanlage war das letzte der neun Forts, die ab 1879 hier in Kaunas gebaut wurden und mit denen das zaristische Russland die Stadt zu einer militärischen Festung ausbauen wollte. Bereits 1924 bekam Fort IX jedoch eine andere Bedeutung als Außenstelle des Gefängnisses, bevor es während der Judenverfolgung im zweiten Weltkrieg als Konzentrationslager Berühmheit erlangte.

Insgesamt mehr als 30.000 Menschen aus Litauen und aus ganz Europa, darunter viele Deutsche wurden hierher verschleppt und ermordet. Heute dient das Fort als Gedenkstätte für die Opfer stalinistischer Verfolgung und nationalsozialistischen Massenmordes.

Wir verlassen Kaunas und nähern uns Vilnius langsam an. Letzter Stopp vor der litauischen Hauptstadt ist Trakai, ein kleines unscheinbares Örtchen an einer Seenplatte mit 200 Seen. Bekannt ist es für seine spätmittelalterliche Wasserburg, die sich auf einer Insel zwischen dem Galvesee, dem Lukasee und dem Totoriskessee befindet. Außerdem lebt hier noch ein kleiner Prozentsatz Karäer, eine jüdische Religionsgemeinschaft, die aber auch eine eigene Volksgruppe bildet. Sie gehören zu den Turkvölkern und leben heute zum größten Teil in Israel. Von den 50.000 auch Karaimen genannten Menschen weltweit, leben in Litauen nur 257, in Trakai 65. Dennoch ist es das größte Karäer-Zentrum Litauens.

Es wird Zeit unsere Reise zu beenden. Die letzten Kilometer bis Vilnius verbringen wir teilweise im Freitag-Freierabendstau, bevor wir nach 2150 Kilometern quer durchs Baltikum den Autoschlüssel abgeben und damit unsere Reise beenden. Es war eine schöne Tour durch die endlosen Weiten von Estland, Lettland und Litauen, mit jeder Menge Spaß.

Wir lassen nun Vilnius noch ein wenig auf uns wirken, bummeln gemütlich durch die Stadt und lassen revue passieren was wir so erlebt haben. Morgen ist unser letzter Tag, da wird Vilnius dann nochmal auf Herz und Nierren geprüft.



Vilnius, Jeruslaem oder doch Rom?

Vilnius liegt mit seinen heute ca. 550.000 Einwohnern nur 40 Kilometer westlich der weißrussischen Grenze. Somit liegt es ziemlich am Rande des heutigen Litauens, doch recht zentral wenn man das Ehemalige, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichende, Großreich und Fürstentum Litauen betrachtet.

Vilnius, das "Jerusalem des Nordens" war und ist die wohl liberalste Stadt Europas. Sie war schon immer ein Schmelztiegel an Nationalitäten und Kulturen und bot unter Anderem den verfolgten Juden aus Mitteleuropa Schutz. Um 1900 waren nur 2% der Einwohner von Vilnius Litauer -. neben 40% Juden, 30% Polen und 20% Russen. In der Zeit des ersten Weltkrieges war die Zahl der Russen auf nur noch 4% gesunken. Die Polen bildeten bis dahin die Mehrheit der Bevölkerung mit über 50%. Während des zweiten Weltkrieges wurden die Polen vertrieben, die Juden im Holocaust ermordet. So verlor die Stadt beinahe 90% seiner damals ca. 200.000 Einwohner. Die wenigen Verbliebenen mussten die Stadt neu aufbauen und beleben.

Vilnius, das "Rom des Ostens" hat mehr als 50 Kirchen und Gebetsstätten. Von nahezu jedem Ort der Stadt sieht man mindestens 3 oder 4 Kirchtürme über die Dächer ragen. Die meisten der Kirchen sind römisch-katholisch, was seinen Ursprung in der polnischen Mehrheit begründet. Litauen war das letzte Land, welches christianisiert wurde - durch die Polen. Heute gibt es wieder knapp 20% polnischer Einwanderer in Vilnius und teilweise weit mehr im Umland. Von den einst mehr als 100 Synagogen und jüdischen Gebetshäusern ist nur eine einzige Synagoge übrig geblieben.

Die kleine gemütliche Altstadt ist hauptsächlich geprägt durch die bereits erwähnten zahlreichen Kirchen, von denen sich eine Vielzahl in der Altstadt befinden. Die Stadt breitet sich zu beiden Seiten des Flusses Neris aus, der die Stadt in zwei Teile teilt. Im alten Künstlerviertel Užupis, welcher auf einer kleinen "Insel" liegt, geht es ruhig und gediegen zu. Nur wenige Touristen finden den Weg über das Flüsschen Vilnia in diese kleine Republik. Die "Unabhängigkeit" der Republik wird jedes Jahr am 1. April gefeiert. Wer mehr über die Verfassung dieser winzigen Republik lesen will, schaut einfach mal hier.

Wir haben viel gesehen in Vilnius, sind viel gelaufen und am letzten Tag der Reise fällt mir das Schreiben mehr und mehr schwer. Aber eines bleibt zu sagen. Vilnius ist wie auch die anderen beiden baltischen Hauptstädte einzigartig und unvergleichlich.



was haben wir im Baltikum gelernt ;-)



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